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Der Werwolf von Paris

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Der SpĂ€therbsttag senkte sich in trĂŒben Schleiern auf die Landschaft vor Paris. In trostloser Verlassenheit lag die Heide da, umsĂ€umt von einem kleinen WĂ€ldchen, dessen BĂ€ume nur noch wenige bunte BlĂ€tter zeigten. Im Westen brannte das Abendrot und goß sein Purpurlicht ĂŒber das Land. Wie Blutstropfen funkelten die WasserlĂ€ufe, die trĂ€ge durch die Ebene zogen. Der Himmel umdĂŒsterte sich, schwere, weißgraue Wolken tĂŒrmten sich auf; es drohte Schnee.

Durch das raschelnde Laub des Waldes, das einen feuchten, modrigen Hauch ausströmte, wanderte langsam, mĂŒde ein etwa fĂŒnfzehnjĂ€hriger Junge. Lumpen umhĂŒllten seinen schlanken und doch krĂ€ftigen Körper, sein schmales, blasses Gesicht mit den dunkelumrĂ€nderten Augen war traurig, verhungert. Er hatte das Aussehen eines verwahrlosten Landstreichers, und doch lag ein anziehender Ausdruck in seinem Antlitz.

Als er den Waldrand erreicht hatte, blieb er einen Augenblick stehen und starrte nach Westen. Ein heller Schein flog ĂŒber sein melancholisches Gesicht. Dort lag, vom Licht der untergehenden Sonne mit Purpurglanz bestrahlt, Paris das Ziel seiner Sehnsucht. Silhouettenartig hoben sich die TĂŒrme und Giebel der Riesenstadt vom Himmel ab, ĂŒberragt von dem altehrwĂŒrdigen Dom von Notre-Dame.

"Paris", flĂŒsterte der Junge wie andĂ€chtig, "der heiligen Jungfrau sei Dank. Ich habe Paris erreicht."

Wochenlang war er durchs Land gezogen, von Ort zu Ort sich durchbettelnd, hungernd und frierend, wenn die Gaben der Mitleidigen einmal spĂ€rlich flossen oder er kein Heulager bekam und unter freiem Himmel ĂŒbernachten mußte.

Antoine François Desrues hatte schon im dritten Lebensjahr seine Eltern verloren und war von Verwandten aufgenommen worden, die sich seiner aber bald wieder entledigten. Er war dann von einer Hand in die andere Hand ĂŒbergegangen. Seine Pflegeeltern ließen den Jungen arbeiten, bis er fast zusammenbrach. Der kaum ElfjĂ€hrige ersetzte einen Knecht, bekam aber nicht satt zu essen trotz der schweren Arbeit. Nie hörte er ein