Egozentrismus als die Unfähigkeit, die eigene Perspektive in ein relationales Ordnungsgefüge mit anderen Perspektiven zu setzen, ist ein Denkhindernis für die Aneignung des Ich- Fremden und damit auch ein Hindernis für einen rationalen interkulturellen Diskurs. Egozentrismus ist in der Darstellung von Jean Piaget nicht primär der mangelnde Wille zur Kommunikation, sondern vorrangig ein intellektuelles Phänomen der Vor- rationalität. Er zeichnet sich aus (1) durch geistige Unordnung mit der Unfähigkeit zur Synthese (Synkretismus, Parataxe, Transduktion, Unempfindlichkeit gegen den Widerspruch); (2) durch mangelnde Lernfähigkeit im Sinne der Unfähigkeit, sich durch die Gegenstände der Welt und die Gedankendarstellungen des Mitmenschen belehren zu lassen; (3) die Unfähigkeit, eine ich- andere objektive Realität anzuerkennen und (4) die Unfähigkeit, die Sprache in der Funktion der Mitteilung des Gedankens an den anderen Menschen zu gebrauchen.
Diese Denkform, die das Ich- Fremde nicht begreift, kann das für den interkulturellen Dialog gültige Prinzip von ›Selbstbehauptung und Anerkennung‹ (Horst Dräger) nicht einhalten und ist der ›Kritischen Rationalität‹ (Karl Popper) diametral entgegengesetzt.
Der Egozentrismus ist nur durch geistige Steigerung überwindbar und wäre somit der Pädagogik als Aufgabe zugewiesen. Die rationale Pädagogik der Gedankenkreiserweiterung als Beitrag zur Überwindung von Denkhindernissen wird aber leider vom gegenwärtigen Zeitgeist ›vergessen‹. Pädagogik sollte sich, wenn sie die Überwindung von Egozentrismus befördern und damit einen Beitrag zur Interkulturalität jenseits einer konkretistischen Erlebnispädagogik leisten will, wieder auf ihre rationalen Traditionsbestände beziehen und diese weiterzuentwickeln.