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Kasulke trifft Gott : Eine himmlische Kurzgeschichte

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Mit einem Seufzer der Erleichterung, lies sich Emil Kasulke auf die hölzerne Bank in der hinteren Ecke des Wartesaals dritter Klasse am Anhalter Bahnhof in Berlin fallen.

Der Seufzer kam nicht von ungefĂ€hr, denn schließlich war er bereits seit vier Uhr morgens auf den Beinen und kam erst jetzt dazu, eine wohlverdiente Pause einzulegen.

Die große Uhr am Bahnsteig wĂŒrde gleich schon ein Uhr dreißig mittags anzeigen.

Kasulke war ObergepĂ€cktrĂ€ger am Anhalter Bahnhof in Berlin und fĂŒr ihn war es der schönste Platz und der beste Beruf auf der ganzen Welt.

Was nicht weiter verwundern darf, denn schließlich hatte er nie etwas anderes kennen gelernt.

Mit sich und der Welt im reinen packte er seine Stullen aus und biss genĂŒsslich in die Erste.

Heute schmeckte sie ihm besonders gut, denn sie war dick mit Schmalz bestrichen, ja sogar mit richtigem Griebenschmalz, was nicht alle Tage vorkam.

Er kam sich dabei fast schon ein bisschen komisch vor, sich an einem normalen Dienstag, so einen Luxus zu leisten.

Aber er fand, er hatte es sich verdient.

Denn schließlich, es war eine Woche vor Weihnachten und das war fĂŒr die GepĂ€cktrĂ€ger die Beste Zeit des Jahres.

Zwar kannte er keine weihnachtlichen GefĂŒhle und konnte mit dem "Fest" auch nicht sehr viel anfangen.

Er hatte auch nie verstanden, warum die Menschen wegen dieser drei blöden Tage, die er fĂŒr ziemlich ĂŒberflĂŒssig hielt, soviel Aufhebens machten.

Aber es gab keine andere Zeit im Jahr, in der er so schnell, soviel verdienen konnte.

Es lag wohl daran, das diese "vorweihnachtlichen GefĂŒhle" ein bisschen die Sinne vernebelten und mithalfen, die Geldbeutel der Leute schneller und weiter zu öffnen.

Zu keiner anderen Zeit, gab es soviel Trinkgeld und so viel zu tun.

Aber dieses Weihnachten, war schon etwas besonderes.

Man schrieb das Jahr 1899 und es sollte das letzte Fest in diesem Jahrhundert werden.