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Lebensadern der Globalisierung: Politikum 2/2022

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Infrastrukturen werden oft als gegeben betrachtet. Sie geraten nur dann ins Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit, wenn sie als "Lebensadern" der alltĂ€glichen Praktiken ausfallen oder nicht so funktionieren wie erwartet. HĂ€ufig ist dann von "kritischen" Infrastrukturen die Rede. Mal geht es um soziale Infrastrukturen wie Bildung, Erziehung, Pflege oder Gesundheit. Vermehrt richtet sich der Blick aber auch auf jene Infrastrukturen, die fĂŒr die ökonomische Globalisierung von grundlegender Bedeutung sind:

- Handelswege, also Seerouten, KanÀle, HÀfen, Bahnstrecken oder Flugrouten;

- die Systeme der Energieversorgung, vor allem Stromnetze und Öl- oder Erdgas-Pipelines;

- digitalisierte Kommunikationssysteme wie das Internet;

- die satelliten-gestĂŒtzte Navigation (GPS) und Systeme mit einer hohen DatenĂŒbertragung (5G);

- und internationale Zahlungssysteme (SWIFT), die nicht nur den Handel, sondern auch die grenzĂŒberschreitende Vernetzung der FinanzmĂ€rkte abstĂŒtzen.

Die terroristischen AnschlĂ€ge und Cyber-Attacken der 2000er Jahre haben bereits dazu gefĂŒhrt, dass einige dieser Infrastrukturen diskursiv "versicherheitlicht", d.h. als anfĂ€llig fĂŒr existenzielle gesellschaftliche Bedrohungen betrachtet wurden. Einige Wissenschaftler gehen inzwischen noch einen Schritt weiter und verweisen darauf, dass Infrastrukturen mitunter strategisch als nicht-militĂ€rische "Waffe" eingesetzt werden können, um Druck auf missliebige Staaten auszuĂŒben. Über derartige FĂ€higkeiten verfĂŒgen vor allem die USA und China – Stichwort: "Neue Seidenstraße" –, die um die Kontrolle ĂŒber zahlreiche Infrastrukturen ringen. In Reaktion auf die russische Invasion in die Ukraine nutzen nun aber auch die EU und andere Staaten Infrastrukturen, so etwa SWIFT, um die vereinbarten Sanktionen gegenĂŒber Russland effektiv durchsetzen zu können.

Letztlich wĂ€re es verkĂŒrzt, den Aufbau und die Entwicklung Infrastrukturen nur unter dem Aspekt der "Versicherheitlichung" oder "Weaponization" zu betrachten. Auch ErwĂ€gungen der kapitalistischen Inwertsetzung, der sozialen Integration, demokratischen Partizipation oder ökologischen Modernisierung spielen in der Gestaltung globalisierungs-relevanter Infrastrukturen eine wichtige Rolle.

Diese Ausgabe von POLITIKUM diskutiert: Wie schreitet der Aufbau grenzĂŒberschreitender Infrastrukturen voran? Nehmen die Konflikte um ihre Organisation und Kontrolle zu? Wie positioniert sich die EU? Verfolgt sie eine eigenstĂ€ndige Strategie? Gibt es auch neue Chancen der Kooperation? Wenn ja, in welchen Bereichen und unter welchen Bedingungen?