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Marguerite Porete : Textauswahl und Kommentar von Gerhard Wehr

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"Ihr Leben löst die Wahrheit ihres Buches ohne Worte ein." Franz-Josef Schweitzer

Marguerite Porete hatte in einer ebenso ĂŒberzeugenden wie herausfordernden Weise das Wort ergriffen und Widerhall unter dem Kirchenvolk ihrer Region gefunden. Ihr oblag es, einen Stufenweg der Seele zu Gott zu zeigen. Sie legte in temperamentvollen, bisweilen enthusiastischen Dialogen dar, wie sich die erleuchtete Seele von den UnzulĂ€nglichkeiten der menschlichen Vernunft wie auch der herkömmlichen Tugenden zu verabschieden habe, um sich in hingebungsvoller Liebe mit der Gottesliebe zu verbinden, einer Verbindung, die eine ungeahnte Freiheit des Geistes (spiritus libertatis) eröffnet. Sich selbst versteht diese ihres Adels bewusste Seele als eine Herrin ĂŒber die Tugenden und als eine geradezu ebenbĂŒrtige Tochter der Gottheit.

Marguerite Porete hat mit ihrer tief im menschlichen Geist verankerten Liebe zu Gott das christliche Denken nachhaltig beeinflusst. Wie viele andere - gerade weibliche - vordenkende Mystiker musste auch sie fĂŒr das Eintreten fĂŒr ihre Glaubensweise auf dem Scheiterhaufen mit dem Leben bezahlen. Die den Beginen angehörende französischsprachige theologische Schriftstellerin war fĂŒr eine Frau ihrer Zeit Ă€ußerst gebildet und vertrat ihre Ansichten zu öffentlich, und das ohne ihre Lehre als einer Gottesoffenbarung entsprungen zu bezeichnen, was im frĂŒhen Mittelalter meist der einzige Weg war, als theologisch in der Öffentlichkeit agierende Frau nicht in Konflikt mit der mittelalterlichen Inquisition zu kommen. Enthusiasmus rief Marguerite Porete unter den GlĂ€ubigen mit ihrer Lehre hervor, in der der Spiegel die etappenweise Befreiung der menschlichen Seele aus der weltlichen AbhĂ€ngigkeit hin zu Gottes allmĂ€chtiger Liebe versinnbildlicht.