Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können.
»Nur nicht so stürmisch, ich komme ja schon«, brummte Jonas, als die Flurglocke schon zum zweitenmal anschlug. Dann stolzierte er mit gravitätischen Schritten nach dem schmalen, engen Korridor, öffnete die Tür und fuhr zurück. »Oh – der Herr…«, stammelte er verwirrt, »ich bitte um Entschuldigung.« »Warum entschuldigst du dich denn?« fragte lachend der vor ihm stehende große blonde Mann. »Weil ich mir so viel Zeit mit dem Öffnen ließ, Herr.« »Ach so…«, lachte der Besucher noch lustiger, trat in den Korridor und packte den Diener bei den Schultern. »Tag, Jonas, altes Haus, wo ist meine Mutter?« »Die Herrin hält ihr Kaffeestündchen.« »Ah, so…«, meinte der Gast. Er durchmaß mit zwei Schritten den Korridor, klopfte an die letzte Tür und stand gleich darauf vor einer Dame, die an einem runden Tischchen saß und mit Behagen den geliebten braunen Trank schlürfte. »Mutti!« rief der große Junge mit verhaltenem Jubel, stand mit einem langen Schritt vor ihr, hob sie wie eine Feder empor und drückte sie an sein Herz. »Unband!« drohte die Mutter, als sie wieder auf ihrem Sessel saß. Helle Freude leuchtete ihr aus den Augen.