»Gesellschaftliche Umbrüche, Revolutionen, sind immer auch Charakterzeiten.«
In solchen Zeiten begegnen wir auch ihnen – den »revolutionären Feiglingen«, die um der eigenen Werterhaltung willen falsch Zeugnis reden. Jürgen Hermann hätte allen Grund, mit den unlauteren Charakteren, deren Gewissenlosigkeit er zu DDR- und »Wende«-Zeiten zu spüren bekommen hat, abzurechnen.
Nein, Abrechnung ist nicht gemeint. Aber welche Gestalten tauchen auf der Hermann'schen Bühne der Geschichte auf! Vom »falschen« Pfarrer aus der Kindheit bis zu Hochschulrektoren, die eine »friedliche Revolution« als ihre eigene »Palastrevolution« missbrauchen.
Ehrlichkeit ist für Hermann das große Wort. Er fragt andere danach, vor allem aber sich selbst. Kritisch und selbstkritisch stellt er sich seiner Wirklichkeit als Student an den Historischen Instituten in Jena und Halle, in der »hauptamtlichen« FDJ an der Universität Halle, als Historiker und Hochschullehrer oder als Parteimitglied an den Instituten für Marxismus-Leninismus der Universität und der Pädagogischen Hochschule Halle.
Hermanns persönliche Geschichte fungiert als Stichwortgeber für nonkonformistische historiografische Erörterungen. So steht das Schicksal seines für ihn verlorenen wissenschaftlichen Archivs stellvertretend für einen spezifischen Wende-Vorgang an einer ostdeutschen Hochschule. Oder der 13. August 1961. Viel ist in den vergangenen 50 Jahren darüber geschrieben worden. Was hier von einem Historiker vorgeschlagen wird, hätte die Mauer überflüssig gemacht!
Indem er Geschichte personalisiert, macht er sie anschaulich. Immer liest man das Individuum, an keiner Stelle läuft er Gefahr, sich in stilistischer X-Beliebigkeit zu verlieren. Kantig ist er da, wo dazu herausgefordert wird, liebenswürdig überall dort, wo es möglich ist.
Auch wenn jeder zu seiner Zeit seine Fehler machen kann – die kleinen Lumpen und die großen Gauner, die, denen in Zeiten des Wandels der Charakter abhanden kommt, sie gilt es zumindest zu erinnern.