Während des NS-Regimes wurden chronisch »geistig kranke« PatientInnen im Rahmen eines wohl kalkulierten biopolitischen Programms ermordet. Dieses Programm nutzte etablierte wissenschaftliche Standards und beruhte auf damaligen eugenischen Vorstellungen. Circa 300.000 PatientInnen wurden während dieser Zeit getötet, und es waren Pflegende, die dies alltäglich ausführten. Neuere Forschungen legen allerdings die Vermutung nahe, dass psychiatrische PatientInnen auch vor und nach Ende des NS-Regimes ermordet wurden. Das führt zu der Annahme, dass die Motive für die Morde innerhalb der psychiatrischen Praxis zu suchen sind.Dieses Buch versucht die Mechanismen und wissenschaftlichen Diskurse zu identifizieren, die es Pflegenden ermöglichten, PatientInnen als lebensunwert wahrzunehmen. Basierend auf der Methodologie der »institutional ethnography« zeigt es, dass PatientInnenakten als »inscriptions« analysiert werden müssen, die aktiv in die Interaktionen innerhalb der Institution psychiatrische Anstalt eingreifen und dabei eine bestimmte, verschriftlichte Realität erzeugen. In der Analyse dieser »inscriptions« geht es nicht darum zu fragen, ob die abgebildete Realität wahr ist, sondern eher darum, zu verstehen welche Funktion Dokumente in der psychiatrischen Praxis hatten und welche Effekte sie erzeugten. Das Buch zeigt ferner, wie Pflegende aktiv in die Konstruktion von PatientInnen-Identitäten involviert waren und wie diese »dokumentarischen Identitäten« letztlich zum Tod tausender menschlicher Leben führten.
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