Sie ist jung, sie ist schön, und sie ist stolz – ihr Vater, der alte Graf und Patriarch Benno von Waldenburg, weiß genau, warum er seine Lieblingstochter dazu auserkoren hat, die Herrin auf Schloss Waldenburg zu werden. Es ist die große Überraschung, die er auf der herrlichen Feier anlässlich seines 60. Geburtstags verkündet. Sie führt zum Eklat – denn sein maßloser, ungeratener Stiefsohn Ingo denkt gar nicht daran, auf seine Ansprüche zu verzichten. Er will vor Gericht klagen. Die gräfliche Familie wird unruhige Zeiten erleben.
Die junge Gräfin ist eine Familiensaga, die ihresgleichen sucht. Die junge Gräfin ist eine weit herausragende Figur, ein überzeugender, zum Leben erwachender Charakter – einfach liebenswert.
Alexandra von Waldenburg machte rein reflexartig zwei Dinge sie stellte ihr Telefon auf Lautstärke, damit ihr Vater mithören konnte, dann wechselte sie den Hörer von einem Ohr zum anderen, ihre Schwägerin hatte da so laut hineingebrüllt, dass Alexandra das Gefühl hatte, ihr Trommelfell sei geplatzt. Ihr schwirrte der Kopf, es war zu unglaublich, was Marion ihr da entgegengeschrien hatte. Obschon sie wusste, dass sie sich nicht verhört hatte, dass man Marions Worte auch nicht fehlinterpretieren konnte, erkundigte sie sich: »Marion, was willst du damit sagen? Michelle ist weg …, sie ist verschwunden. Du hast sie doch selbst in den Kindergarten gebracht und besonders hübsch angezogen und frisiert, weil die Kleinen heute fotografiert werden sollen. Vielleicht hat sie sich irgendwo versteckt. Kleine Kinder machen das gern.« Marion setzte zum Sprechen an, wieder in einer Lautstärke, die den Ohren wehtat, als Alexandra sie unterbrach: »Marion, sprich bitte leiser, und vor allem auch langsamer und deutlicher, damit man dich verstehen kann.« Außer Schluchzen war jetzt nichts zu hören, Marion war vollkommen von der Rolle. Benno von Waldenburg stand auf, nahm seiner Tochter Alexandra den Hörer aus der Hand. »Marion, bitte versuch, dich zusammenzureißen … Wer sagt, dass Michelle verschwunden ist? Und wo bist du jetzt?« Die Stimme Bennos beruhigte Marion ein wenig. Sie vertraute ihm, sie wusste, dass sie sich in jeder Lebenslage auf ihn verlassen konnte. Für Benno von Waldenburg gehörte sie noch immer zur Familie, obwohl sie längst von Ingo geschieden war. Sie schluckte, doch ihre Stimme klang noch immer laut und aufgeregt, als sie sagte: »Ich …, ich bin … im … Kindergarten und … ich wollte … Michelle … abholen …, und da, und da sagte man mir, jemand habe sie …, habe sie in meinem Namen … abgeholt …, aber, Benno, das stimmt nicht. Ich habe niemanden beauftragt …, warum denn auch? Olaf wollte den Tag mit uns verbringen …, mit uns essen gehen, dann …«, sie konnte erst einmal nicht weitersprechen, und ihrer Stimme war anzuhören, welche Mühe es sie kostete, ihren Satz zu beenden: »Michelle hat sich so sehr … auf das … Puppentheater gefreut … Benno …«, ihre Stimme erstarb.