Es ist der 7. Mai 1824. Beethovens 9. Symphonie wird in Wien uraufgeführt: Der Komponist hat sein Gehör fast vollständig verloren. Die junge aufstrebende Altistin Caroline Unger (1803–1877) fasst sich ein Herz und dreht ihn zu dem begeisterten Publikum um, damit er seinen Erfolg erleben konnte. Kurze Zeit später fand sich die Sängerin in Neapel ein – es war für sie der Auftakt zu einer in künstlerischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Hinsicht herausragenden Karriere. Ihre soziale Intelligenz und das Gespür für Publikum und Theaterindustrie machten sie zur Projektionsfläche für Bewunderer und Impresarios gleichermaßen. Dabei bewegte sie sich zwischen den Identitäten als Deutsche in Italien – zwei Länder, die der Wunsch nach nationaler Einheit verband. Eva Nesselraths Publikation ist mehr als eine Biografie: Neben der Rekonstruktion ihrer Karriere wird ein Vokalprofil der Primadonna vorgelegt und erstmals ihr Liedschaffen beleuchtet. Ihre Kompositionen runden das komplexe Bild einer Künstlerin ab, die hohe Risiken einging, um gesellschaftliche Grenzen zu überwinden und zu einem Beispiel weiblicher Selbstwirksamkeit im 19. Jahrhundert zu werden. Beim Lesen begibt man sich auf die Spuren einer Diva, die man als Lieblingssängerin Donizettis kannte, die auf der Durchreise bei Robert und Clara Schumann zum Tee einkehrte, die eine der teuersten Villen von Florenz besaß, und die dennoch in Vergessenheit geriet.