Die Gouvernante ist eine Novelle von Stefan Zweig aus dem Jahr 1911. Ein seltsames, unerhörtes Ereignis verstört zwei anonym bleibende Geschwister – kleine Mädchen im Alter von zwölf beziehungsweise dreizehn Jahren – so sehr, dass der Erzähler am Ende des überschaubaren Textes eingestehen muss: "seit gestern sind sie keine Kinder mehr". Die zwei blutjungen Protagonistinnen haben ihre Erkenntnis komplett an den geschlossenen Zimmertüren der Erwachsenen am Ort der Handlung, einem großbürgerlichen Hause, erlauscht. Weil die zwei Kinder ihre Gouvernante lieben, sind sie über deren unübersehbare Verstörung äußerst besorgt. Zudem erhalten die Mädchen von keiner Seite irgendeine Auskunft. Mit geschärften Sinnen registrieren die Kinder, Otto, der Cousin – ein in den Prüfungsvorbereitungen steckender Student – ist in das Zimmer der Gouvernante gerufen worden. Dort wurde er von dem Fräulein mit der Hiobsbotschaft konfrontiert, es sei von ihm schwanger. Wie könnte es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in gutbürgerlichen Kreisen anders sein – die Lauscherinnen sind noch nicht aufgeklärt. Folglich können sie nicht begreifen, was hinter der Tür eigentlich wirklich verhandelt wird. Otto, der seit Jahren im Hause des Onkels wohnt, steht nicht zu seiner Tat, sondern ergreift die Flucht; zieht aus und nimmt eine Studentenbude. Die Mutter der Geschwister jagt die Schwangere aus dem Hause. Die Gouvernante nimmt sich ein paar Stunden vor dem knapp gesetzten Kündigungstermin das Leben. Die Mutter erscheint – typisch Erwachsene – den Kindern als elende Heuchlerin. Sie schenkt ihren Sprösslingen keinen reinen Wein ein.