Ich erinnere mich noch gut an die Nacht, in der Marseille wieder einmal seine Zähne zeigte. Es war einer dieser Abende, an denen das Meer schwer und träge gegen die Kaimauern schlug, die Lichter der Stadt sich im Wasser spiegelten wie die Erinnerungen an bessere Zeiten. Ich war gerade dabei, meinen zweiten Espresso im „Café du Port“ zu trinken, als mein Handy vibrierte. François war am anderen Ende.
„Pierre, wir haben einen Toten. Rue Sainte, hinter dem Le Paradis. Messerstich. Die Streife ist schon vor Ort.“
Ich zahlte, nickte Giulia hinter dem Tresen zu und machte mich auf den Weg. Die Rue Sainte war nicht weit, aber in Marseille ist nichts je wirklich nah. Die Straßen sind ein Labyrinth aus Geschichte, aus Narben, aus Versprechen, die nie gehalten wurden. Der Wind roch nach Salz und Abgasen, nach dem Leben, das hier immer ein wenig zu laut, zu schnell, zu gefährlich pulsiert.
François wartete bereits vor dem Absperrband, sein Gesicht im Licht der Straßenlaterne blass. „Bonsoir, Pierre“, sagte er, reichte mir die Handschuhe. Ich nickte nur, zog sie an und trat unter dem Band hindurch.