(0)

Kassel Reise-Experiment mit Maske

E-book


Kassel ist viel mehr als Documenta, BrĂŒder Grimm und Bergpark Wilhelmhöhe. Wer Kassel nur auf diese drei Highlights reduziert , der versĂ€umt ein bedeutendes StĂŒck nordhessischer Zeitgeschichte in Deutschlands zweitgrĂŒnsten Stadt. Wir nahmen uns drei Tage Zeit und entdeckten mit Begleitung einer gewieften StadtfĂŒhrerin einen riesigen Landschaftsgarten, die Stationen und VermĂ€chtnisse der BrĂŒder Grimm in ihrer Kassler Zeit und die Geschichte der Unternehmerfamilie Henschel, die mit ihren Lastwagen, Omnibussen und Lokomotiven seit 1810 Technikgeschichte schrieb. Wir besuchten eine Auswahl frei zugĂ€nglicher Documenta-Kunstwerke, bestaunten großflĂ€chige Graffiti der Extraklasse, Deutschlands allererste FußgĂ€ngerzone, mittelalterliche TĂŒrme der Stadtbefestigung, Spuren der Hugenotten und Anekdoten um diese Stadt und ihre berĂŒhmten Bewohner und Besucher. Wir erkannten die Absicht der Kritischen Rekonstruktion, die BombenschĂ€den des Zweiten Weltkriegs so reparierte, dass der Bruch zwischen alt und neu sichtbar blieb. Wir speisten in einer Garnisonkirche, probierten Ahle Wurscht und Weckewerk. Nicht unbedingt makaber ist Kassels Kult um die Toten im Museum fĂŒr Sepulkralkultur und beim Spaziergang durch die KĂŒnstler-Nekropole im Habichtswald am Stadtrand von Kassel, wo sich bedeutende KĂŒnstler ihre GrabmĂ€ler selbst entwarfen und teilweise dort schon ruhen. Unter anderem Gunter Demnig, bekannt fĂŒr ein paar Tausend Stolpersteine.

Vor allem wissen wir jetzt, wie die grĂ¶ĂŸte barocke Kaskadenanlage der Welt, diese absolutistische Architektur es Landgrafen Karl von Hessen-Kassel und seinen Nachkommen funktioniert: der Bergpark Wilhelmshöhe mit dem Herkules. Karl wollte der Welt beweisen, dass er einen Fluss auf der Spitze eines Berges entspringen lassen könne und dass er so viel Geld besaß, um Wasser nach seiner Choreografie zum Tanzen zu bringen. In Paris und anderen europĂ€ischen StĂ€dten zerriss man sich das Maul ĂŒber Karls Gigantomanie. Genau das war seine Absicht.

Eine EinschrĂ€nkung gab es aber doch bei diesem Besuch in Kassel. Corona zwang uns zum Tragen von Masken und bremste uns damit von Spontanbekanntschaften aus. Schade. Gern hĂ€tten wir den Spirit des TV-Produzenten Hubertus Meyer-Burkhardt nachgespĂŒrt. Er ist in Kassel aufgewachsen und schwört darauf: Der KasselĂ€ner eignet sich nicht als ProjektionsflĂ€che fĂŒr den SchwĂ€rmenden. Mit ihm reist du nicht zu den Sternen, mit ihm geht man durchs Leben.