Ästhetik der Dingwelt : Materielle Kultur bei Jean Paul, Aby Warburg und Walter Benjamin

Die Möglichkeit, Walter Benjamins Allegorie-Begriff in akademischen Untersuchungen mit der Prosa Jean Pauls in Verbindung zu bringen, wurde von Benjamin noch selbst abgewogen: in der Rezension einer frühen Abhandlung zu diesem Thema, die er für zu kurz gegriffen befand. Ein solches Vorhaben, das "beste Chancen" böte, dürfe sich nämlich nicht auf literaturwissenschaftliche und geistesgeschichtliche Perspektiven beschränken. Notwendig sei vielmehr, auch die Dimension der Alltagskultur einzubeziehen und Jean Pauls Hinabgreifen "in Tiefen des Volkstums und der Tradition" zu berücksichtigen.

Diesem Hinweis Benjamins folgt die vorliegende Untersuchung. Indem sie sich auf den Bereich der materiellen Kultur konzentriert, legt sie eine Geschichte der Theorie der Dingwelt offen. Jean Pauls ästhetische Überlegungen zur projektiven Belehnung der Dingwelt mit seelischen Regungen wurden von Aby Warburg aufgegriffen und für seine kulturwissenschaftliche Methode fruchtbar gemacht. Dabei erschließt er unter anderem einen Traditionsstrang des Denkens von materieller Kultur im ästhetischen und kulturanthropologischen Kontext, der geprägt ist von aus der Antike herrührenden abergläubischen Vorstellungen über die Einflüsse der Planeten auf die menschliche Geistesverfassung wie etwa die Saturnfürchtigkeit.

Benjamin wiederum knüpft daran an und entwirft eine "Dialektik des Saturn". Diesen theoretischen Zusammenhängen wird schließlich auch im erzählerischen Werk Jean Pauls nachgegangen, in dem sich eine dem entsprechende Rolle der materiellen Kultur zeigen lässt, so dass die Prinzipien einer ästhetisch verstandenen Epistemologie auch in ihrer literarischen Ausgestaltung zu betrachten sind.

Als vermittelnde und organisierende Instanz lässt sich dabei die Allegorie bestimmen. Die Aussage Benjamins, das Werk Jean Paul sei das des größten Allegorikers der deutschsprachigen Literatur, wird in ihrer Konsequenz dann erfassbar, wenn man mit Benjamin die Allegorie als eine dynamische Figur begreift, die selbstreflexiv Beziehungen herstellt: zwischen dem Ding als Realie und seiner symbolischen Übersteigung, zwischen Kulturwissenschaft und Literatur, zwischen melancholischer Versenkung und weltzugewandter Erkenntnis.


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