Predigten gehören eigentlich nicht in ein Buch. Denn erstens sind Predigten gesprochene Worte, zweitens sind sie an eine ganz bestimmte definierte Gemeinde gerichtet. Wenn sie als Buch erscheinen, dann sind sie längst vorbei und die Gemeinde existiert in dieser Form gar nicht mehr. Bei der Durchsicht dieser Predigten fiel mir aber auf, dass gerade die in einer aufregenden Zeit stattfanden. In den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts änderte sich unsere Weltkonstruktion. Der eiserne Vorhang war gefallen. Der erste Irakkrieg fand statt. Somalia zerfiel trotz Uno-Einsatz. Jugoslawien löste sich unter grausigen Umständen auf. Die Zuwanderungsdebatte bewegte die Politik und die ganze neue Republik erheblich. Innere Sicherheitsfragen (Kriminalitätsangst) dominierten sogar Wahlen in Hamburg. Die Moslems waren "plötzlich" da und wurden wahrgenommen. Nahezu unvermittelt gab es eine kriegerische Zustimmung für die Bundeswehr zur Wahrung der Menschenrechte ausgerechnet bei den Grünen. Waren das nur Zufälle oder Ausrutscher der Mächtigen?
Die Themen und Perspektiven dieser Zeit waren vielleicht prägender als die Katastrophe vom 11.9. 2001, die "Wirtschaft" 2008, die Migration 2015 und Corona 2020. Das Klima war schon damals vorhanden. Der Ukraineüberfall durch Russland 2022 allerdings hat das Zeug, eine neue (leider alte) Zeit einzuleiten.
Alt- und neutestamentliche Texte handeln von individuellen und politischen Krisen. Das zieht sich daher nicht nur, aber auch manchmal sogar ungewollt durch die Predigten. Das menschliche Leben entpuppt sich darin als Krise. Viele Menschen erleben ihr individuelles Leben als Krise, wie die vielen Krankschreibungen wegen psychischer Probleme deutlich machen.
Ein paar Blicke auf eher weniger öffentlich bekannte kirchliche Arbeitsfelder unterstreichen das. Das Ganze endet mit einer "Zeitungsandacht" nach dem Jahr der "Wirtschaftskatastrophe" zum "Neuen Jahr" 2009 und mit einem Text über die unglaublichen Äußerungen des Patriarchen Kirill zum Ukrainekrieg 2022. Das Leben als Individuum, als Gesellschaft und als Menschheit ist immer in der Krise. Nur die Namen ändern sich. Unter dem Stichwort "Gottvertrauen" ist eine Predigt stets ein Aufruf zur Bewältigung der allfälligen Krisen.