In "Dämmerschlaf" entfaltet Edith Wharton ein eindringliches Gesellschaftspanorama der 1920er-Jahre, das zwischen Glanz und Leere, Rausch und Ernüchterung pendelt. Die Autorin, bekannt für ihren feinen Sinn für Ironie und soziale Beobachtung, entwirft hier ein vielschichtiges Bild einer Zeit, die von Wohlstand und moralischer Orientierungslosigkeit geprägt ist.
Im Mittelpunkt steht Pauline Manford, eine wohlhabende New Yorker Gesellschaftsdame, die ihr Leben mit unzähligen Beschäftigungen, wohltätigen Engagements und spirituellen Sitzungen füllt. Inmitten des hektischen Tempos ihrer täglichen "Erleuchtungs"-Rituale verliert sie zunehmend den Bezug zu sich selbst und zu ihrer Familie. Ihr Ehemann Dexter, ein nüchterner und distanzierter Geschäftsmann, sucht Ruhe in der Arbeit, während ihre Tochter Nona nach einem tieferen Sinn in einer Welt aus Oberflächlichkeit und Ablenkung ringt.
Wharton führt ihre Figuren mit feiner Ironie durch eine Welt der Selbsttäuschung: zwischen Jazzpartys, Psychoanalyse und Schönheitskuren versuchen sie, die innere Leere zu betäuben. Besonders Nona spürt die Widersprüche dieser Zeit und steht vor der Entscheidung, ob sie sich dem Sog der Illusionen hingibt oder einen ehrlicheren Weg sucht.
Mit meisterhafter Beobachtungsgabe zeigt Wharton, wie das Streben nach "Dämmerschlaf" – jenem Zustand zwischen Bewusstsein und Betäubung – zur Lebensstrategie einer Generation wird. Die Autorin entfaltet ihre Gesellschaftskritik in lebendigen Dialogen und präzisen Szenen, die zwischen Humor und Tragik changieren. So entsteht ein spannendes, vielschichtiges Porträt einer Ära, deren Glanz immer wieder von Schatten durchzogen ist – ein Werk, das bis heute erstaunlich modern wirkt.













